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"Schundroman" von Bodo Kirchhoff

Jeder kennt sie: die sogenannten Groschenromane, als Trivial- und Schundliteratur verschrienen, in DINA5-Broschürenform am Kiosk zu kaufen, jede Woche eine neue Liebes- oder Abenteuergeschichte. Bodo Kirchhoffs „Schundroman“ ist alles andere als trivial und Schund...mehr

 

Schon von der äußeren Form her unterscheidet er sich vom Groschenroman: gebunden, mit Schutzumschlag, über 300 Seiten lang. Titelbild und Titelgestaltung sind berechtigt ironisch gemeint, beziehen sich auf die Leichtlesbarkeit mit Suchtgefahr dieser Liebes- und Gangstergeschichte. Sie spielt im Verlags- und Schriftstellermilieu, mit Buchmesse, prominenten Bestsellerautoren und Literaturkritikern, deren oberflächliches Darstellungsgehabe und Platzhirschgetue wunderbar abgewatscht wird. Letztlich ist es der Leser, der einzig und allein über den Wert seiner Lektüre entscheidet. Ich habe mich entschieden: dieser Schundroman geht mir runter wie Öl.

 

„Ein Auftragskiller (Willem ohne h Hold) gerät auf die schiefe Bahn der Frankfurter Buchmesse. Erst tötet er den falschen Mann, dann verliebt er sich auch noch in die richtige Frau. Ein Amateur, der alle Profi-Promis das Fürchten lehrt.“ Das ist die Inhaltsangabe vom Klappentext, kurz und knapp, aber völlig ausreichend und das Gute daran, auch nicht ganz so falsch. Auf die schiefe Bahn ist Willem Hold, ein Frankfurter Kind, aufgewachsen im elterlichen Uhrengeschäft im proletarischen Ostendviertel, schon vorher gekommen, als er bei einem Überfall auf ein Juweliergeschäft aus Notwehr den Chef erschoss, der plötzlich eine Waffe auf ihn richtete. Er floh nach Manila, und fliegt nun wieder ein, um einen Auftragsmord zu begehen. Er soll den „Geldsack“ und Immobilienhai namens Busche erschießen. Er verliebt sich eigentlich auch in die falsche Frau, in eine Edelhure, für die er ungewollt auf eine neue schiefe Bahn gerät. Ein Profikiller ist Willem Hold wirklich nicht, er tötet wenn eher aus Zufall und Gelegenheit oder aus Notwehr. Das macht ihn irgendwie für den Leser sympathisch, aber töten kann er trotzdem. Angst kann man vor ihm schon bekommen, er kann austeilen, aber auch eine Menge einstecken.

 

Nach der Blitzinhalstangabe folgt auf dem Umschlag die Auflistung der wichtigsten handelnden Personen in der Reihenfolge ihres Auftretens wie bei einem Theaterstück. Der Regiokrimi (Frankfurt-City, Ostend) ist ja auch ganz großes Theater, Erzählkunst vom Feinsten. Das einzige, was einen als Leser von der spannenden Lektüre abhalten kann, ist fehlende Lesezeit. Einmal begonnen zu lesen, möchte man am liebsten nicht mehr aufhören.

Also ran an den „Schundroman“, ich lese ihn gerade zum zweiten Mal, weil er so ergiebig ist und ich die stilistische und sprachliche Eleganz noch intensiver genießen kann.

 

Wenn Sie es noch mehr über den Schundroman erfahren möchten, lesen Sie auch die folgende Rezension, die ich im Netz gefunden habe und ziemlich treffend finde, besonders anregend, wenn man den Roman vorher wenigstens einmal gelesen hat.

 

Kann es ein Zufall sein, dass gleich zwei neue deutsche Romane Männer zu Protagonisten haben, die sich von Kindesbeinen an für sehr teure Uhren begeistern? Natürlich. Steffen Kopetzky schildert in "Grand Tour" einen wohlhabenden Baron, dessen Leben durch seine Sammelleidenschaft aus den Fugen gerät, Bodo Kirchhoff in "Schundroman" einen gescheiterten Juwelierssohn, dessen Leben durch Liebesleidenschaft wieder in feste Bahnen geführt wird. Sosehr sich die der Handlung zugrundeliegenden Vorlieben gleichen, so sehr unterscheidet sich der Weg beider Figuren.

Kann es ein Zufall sein, dass gleich zwei neue deutsche Romane die Ermordung eines Literaturkritikers zum Thema haben, hinter dem sich jeweils nur notdürftig verbrämt Marcel Reich-Ranicki verbirgt? Natürlich nicht. Bodo Kirchhoff hat im "Spiegel" zugegeben, dass angesichts der Rolle Reich-Ranickis bei Walser und ihm "wohl ein inneres Fass übergelaufen" sei. Sosehr sich die der Handlung zugrundeliegenden Motive gleichen, so sehr unterscheidet sich aber der Weg beider Autoren.

Was haben wir überhaupt für Kriterien für einen Schundroman? Er muss schlecht geschrieben sein oder, besser, billig gemacht, nach festem Schema konstruiert, voller Klischees, auf Oberflächenreize hin geschrieben, die den Leser bei der Stange halten: Nur drei Tote in der ersten halben Stunde der Lektüre - da würden Schundromanleser wohl von einem Mistbuch sprechen. Kirchhoff erfüllt ihre Erwartungen, und damit könnte man die Rezension schon schließen, wenn "Schundroman" nicht über das Detail des Kritikermords - der keinerlei Belang für den Fortgang des erzählten Geschehens hat, es könnte auch einen Chefkoch treffen oder einen Sportfunktionär, doch weil das Buch in Frankfurt zur Buchmessenzeit spielt, lag die Wahl "der einzigen und einsamen Symbolfigur des Betriebs" (Kirchhoff) nahe - in eine Diskussion geraten wäre, die dem Text größere Aufmerksamkeit angedeihen lässt, als dessen Autor sich wohl jemals hätte träumen lassen.

Dieses Buch, das merkt man jeder Zeile an, hat Kirchhoff wenig Mühe gekostet, aber viel Spaß gemacht. Es ist eine Hommage an die Pulp-Literatur der dreißiger und vierziger Jahre, und einem ihrer Größten, dem Amerikaner Charles Willeford, verdankt Kirchhoff die Idee, einen Mord geschehen zu lassen, der Resultat eines im Grunde harmlosen Ablenkungsmanövers ist. Als Willem Hold, der gescheiterte Juwelierssohn, auf dem Frankfurter Flughafen die Verfolger einer jungen Dame abschütteln will, versetzt er einem wildfremden Herrn einen derben Ellbogenstoß ins Gesicht, um Verwirrung zu stiften. Der Herr stirbt daran, und da es sich um den berühmten Louis Freytag handelt, schlägt sein Tod hohe Wellen.

Kirchhoff hat sich in seinem "Spiegel"-Aufsatz, mit dem er seinen Stoff schon vor der Publikation von "Schundroman" erläutern zu müssen glaubte, zu der Behauptung verstiegen, beim Schreiben des Buches sei ihm die Situation Reich-Ranickis im Warschauer Ghetto erst verständlich geworden: "Wie es ist, das Gewicht der eigenen Worte fürchten zu müssen." Dieser Vergleich zwischen Opfern der Nazis und solchen der Kritik ist geschmacklos, das Buch aber ist es nicht. Denn Kirchhoff hat darin seine Worte leicht gewählt, aber nicht leichtfertig. Bei ihm gibt es keine antisemitischen Klischees, nicht einmal das Spiel mit Andeutungen, weil in "Schundroman" die Funktion des Ermordeten im Vordergrund steht, nicht dessen Persönlichkeit. So gelingt ihm, woran Walser (auch) scheitert: eine Farce.

Und mehr: Denn auch das Spiel mit den Klischees der Pulp-Literatur gelingt. Da sind der abgehalfterte Detektiv und die Femme fatale, die tausend Unwahrscheinlichkeiten eines Geschehens, das immer wieder die sechs Hauptpersonen aufeinandertreffen lässt, da gibt es Sex und Crime, bisweilen gar große Gefühle und von Kapitel zu Kapitel atemlos wechselnde Erzählstränge. Sogar das Titelbild ist nach einer Vorlage des amerikanischen "True Crime Magazine" von 1949 gestaltet worden. Der Ladenpreis ist aufgedruckt, als könnte man diesen Band nur am Kiosk zwischen den Groschenheftchen finden. Nicht allein der Autor, auch die Buchgestalter haben Spaß mit diesem Titel gehabt. Ihr Signal ist eindeutig: bloß nicht ernst nehmen.

Aber wie es sich für einen versierten Autor wie Kirchhoff gehört, steckt dann doch viel mehr im "Schundroman", als unsere Pulp-Weisheit sich träumen lässt. Gut somit, dass das Buch ins Gerede gekommen ist, dass es nun genauer gelesen wird. Denn die Handlung etwa nimmt einzelne Motive aus dem besten Werk auf, das Kirchhoff geschrieben hat: aus "Manila", dem Drehbuch zu Romuald Karmakars gleichnamigem Film. In "Schundroman" wird so das Schicksal eines Mannes zu Ende erzählt, der im Film von Manfred Zapatka meisterhaft gespielt worden war: jenes Mannes, der aus Neugier einer Hinrichtung in Saudi-Arabien beiwohnte. Eine "Liebesgeschichte" erzähle sein Buch, sagt Kirchhoff. Ja: die Liebe des Autors zu seinen Figuren.

Diese Liebe erhebt das Buch über die selbstformulierte Abwertung als Schundroman. Noch aus den genretypischen Elementen gewinnt es eine Vielschichtigkeit, die nicht alltäglich ist in der deutschen Literatur. Hold, dessen Name - wie so viele Benennungen der Figuren des Buches - sprechend gewählt ist, tritt auf als sexuell gestörter Mann, dessen Tarnname "Pallas" bereits darauf verweist, was ihn seine Geliebte später im Bett fragen wird: "He, wo hast du das gelernt, Mann, du machst es wie eine Frau." Hold ist als Jugendlicher misshandelt worden, und für diese Tat bedient sich Kirchhoff eines populären Vorbilds der siebziger Jahre, der Internatserzählungen von Oliver Hassencamp um die Jungen von Burg Schreckenstein. Darin wurde einem Schüler das Hinterteil mit Spannlack eingepinselt, und Gleiches widerfuhr dem jungen Hold, nur dass dessen teuflischer Mitschüler Cornelius Zidona den Spannlack aufs Gemächt des Opfers tropfen ließ. Seitdem ist für Hold jede sexuelle Erregung mit großen Schmerzen verbunden, und wen wundert es da, dass er Zidona als Nemesis empfindet, die denn auch folgerichtig den großen Gegenspieler im Roman abgibt. Zumal dieser perfide Schurke auch noch unter Pseudonym als Skandalautor Ollenbeck reüssiert - und wem fiele dazu nicht dank der Assonanz sofort das Vorbild ein? -, Holds Geliebte grausam meuchelt und einen Picasso unterschlägt. Das Böse ist immer und überall.

Da sind wir wieder tief in der Kolportage. "Schundroman" aber kann man auch ganz anders lesen: als Liebeserklärung an Kirchhoffs Heimatstadt Frankfurt, als bewusst schäbigen Gegenentwurf zu Martin Mosebachs "Westend"-Roman. Das heruntergekommene Ostend als Szenerie großer Teile der Erzählung bringt eine proletarische Note in die Handlung, die nicht nur die Erfordernisse des Genres perfekt bedient, sondern auch einen Stadtteil realistisch abbildet, ohne ihn zu denunzieren. Hier kennt sich Kirchhoff aus, er kann das Brüllen beschreiben, das man in der Zobelstraße nahe beim Zoo zu hören bekommt, man riecht fast dessen Gegenwart beim Lesen, so wie es derzeit an den heißen Tagen in der Zobelstraße unvermeidlich ist. Hold stammt von hier, hier beging er das Verbrechen, das ihn außer Landes trieb, als er einen ausländischen Juwelier, Konkurrent seines Vaters, erschoss. Das ist das Urverbrechen dieses Buchs, nicht der Kritikermord, und in jener Tat steckt so viel mehr: Sozialneid, Existenzangst, Enttäuschung, Kurzschlussreaktion und natürlich die Liebe - die zu den teuren Uhren.

Bodo Kirchhoff: Schundroman, 320 S., gebunden, Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2002, EUR 19,80



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© Autor Wolfgang Pache